Zehn Minuten vor dem Schlusspfiff hält es keinen mehr auf den Sitzen. Wieder hat Clara Woltering einen unhaltbaren Ball aus der Ecke gefischt, sie ballt die Fäuste, reißt beide Arme nach oben. Die Borussenbank springt geschlossen hoch, und in der Halle Wellinghofen toben die "Clara-Clara"-Sprechchöre. Auch dank ihrer Torhütern besiegten die Handballerinnen von Borussia Dortmund den Favoriten aus Buxtehude überraschend mit 22:17.

Die Dortmunder Torhüterin erlebte gerade die gefühlt tausendste Sternstunde ihrer so fulminanten Sport-Karriere. Sie brachte die Gäste zur Verzweiflung, sie gab der eigenen Mannschaft alle Sicherheit, die man in solch engen Spielen gebrauchen kann.

Aber wer in diese funkelnden Augen blickt, wer in diese grimmige Miene schaut, der muss auch einknicken, dem muss der Arm schwer werden, der muss zaghaft werden, wenn er zum Wurf ausholt. Denn Clara Woltering setzt mehr ein als die Waffen einer überragenden Torfrau. Natürlich ist sie außerordentlich reaktionsschnell, beweglich und gelenkig, kann wie kaum eine andere die Würfe lesen, die da auf ihr Gehäuse abgefeuert werden. Aber ihre Körpersprache, ihre Mimik, ihre Ausstrahlung, die vor Siegermentalität nur so strotzt, das ist nicht minder wertvoll. Und so hat allein schon ihre Gestik während der 60 Minuten einen extrem hohen Unterhaltungswert.

Sie will gewinnen, immer, und sie braucht auch dabei einen hohen Unterhaltungswert. Gegen Buxtehude waren Freunde und Bekannte aus ihrer Heimat angereist, sie bildeten einen stimmgewaltigen Fan-Block. Und die 33-Jährige wollte sie nicht enttäuschen. „Wenn die DJK Coesfeld anreist, dann kann das nur Glück bringen“, sagte sie lächelnd, „und das ist natürlich eine besondere Verpflichtung für mich.“ Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich bei der Münsterländerin nach 60 aufreibenden Minuten die Spannung, die Aufregung legt. Sie genieße diese Stimmung in der Halle, „es macht noch mehr Spaß, vor einer solchen Kulisse zu spielen“. Das könne genau das Quäntchen bringen, das am Ende den Sieg bedeutet.

Keine Müdigkeit

Schon vor der Partie hatte sie sich entschlossen ein weinendes Einlaufkind geschnappt und es liebevoll zu den Eltern gebracht. Nun, nach dem Spiel, war sie der Star zum Anfassen, schrieb mit aller Geduld Autogramme, ließ zig Selfies über sich ergehen, posierte, lachte, hatte ihren geregelten Spaß.

Clara Woltering kennt offenbar keine Müdigkeit, tagsüber versorgt sie 250 Jungbullen, abends trainiert sie, und wenn der Nationaltrainer Michael Biegler ruft, reist sie mit größtem Vergnügen an. Dreimal war sie bei der EM in Schweden „Player of the Match“, sie spielte ein tolles Turnier. Und wer da dachte, sie werde danach in ein kleines Motivationsloch fallen, der kennt Clara Woltering aber gar nicht.

Drei Siege in Serie

Auch jetzt, nach diesem so schönen Sieg, verbietet sie sich und allen jeden Anflug von Euphorie. Wer ihr eine Glanzleistung attestiert, den korrigiert sie: „Ein oder zwei Bälle sind mir doch blöd reingerutscht.“ Und so schön der Sieg auch sein mag, „ein paar technische Fehler habe ich schon gesehen“. Aber das Große und Ganze stimmt, drei Siege in Serie lassen auch Clara Woltering hoffen, dass es in der Tabelle „in Richtung nach oben geht“. Und dann soll es endgültig keinen mehr auf den Sitzen halten. 

Gerd Strohmann (Ruhr Nachrichten)